Eines vorweg: Generell gesunde Kinder und Kleinkinder vertragen die meisten ätherischen Öle von höchster Qualität. Vorausgesetzt die Verdünnung stimmt (ähnlich wie bei der Ursprungspflanze, also 1%-ig und drunter) und angewendet von Menschen, die sich in dieser Materie gut auskennen. Sich zumindest gut in die Materie eingelesen haben. In seriösen Bücher – nicht Bücher von AutorInnen, denen es vor allem auf einen lukrativen Öleverkauf ankommt. Einfach hinten im Anhang die empfohlenen Öleanbieter anschauen! Daran ist leicht zu erkennen, woher „Wind weht“. Einige unterschiedliche Ölefirmen sollten dort zu finden sein.
Das dicke Buch von Robert Tisserand und Rodney Young Essential Oil Safety (2. Auflage 2014) zeigt uns Fachleuten den Weg zu potenziell problematischen ätherischen Ölen. Darin zeigt uns eine Tabelle im Kapitel „Toxizität auf Menschen“ ( im Abschnitt „Vergiftungen“, Seite 26), wie unwahrscheinlich es ist, ein Kind mit ätherischen Ölen zu vergiften oder gar zu töten. Die Zahlen stammen von der zentralen Vergiftungs-Datenbank der USA aus den Jahren zwischen 1997 und 2006 und beziehen sich auf Vorfälle mit ätherischen Ölen bei Kindern und Erwachsenen über 19 Jahren. Zitieren wir mal einige Ergebnisse:
- 1997 wurden 3990 Fälle von unerwünschten Wirkungen („incidents“) gemeldet, in 2720 von diesen Fällen handelte es sich um Kinder unter 6 Jahren, in 508 Fällen waren es Kinder und Teenager von 6 bis 19 Jahren, 651 Fälle betrafen Menschen über 19 Jahre. Bei all diesen Menschen wurden 1021 Fälle als „ohne Folge“ eingestuft, 67 Fälle zeigten „moderate Folgen“, die Zahl der Todesfälle betrug 0.
- 2002 wurden 7242 Fälle von unerwünschten Wirkungen gemeldet, in 5416 von diesen Fällen handelte es sich um Kinder unter 6 Jahren, in 544 Fällen waren es Kinder und Teenager von 6 bis 19 Jahren, 1432 Fälle betrafen Menschen über 19 Jahre. Bei all diesen Menschen wurden 1731 Fälle als „ohne Folge“ eingestuft, 106 Fälle zeigten „moderate Folgen“, die Zahl der Todesfälle betrug 1.
- 2006 wurden 7030 Fälle von unerwünschten Wirkungen gemeldet, in 5477 von diesen Fällen handelte es sich um Kinder unter 6 Jahren, in 417 Fällen waren es Kinder und Teenager von 6 bis 19 Jahren, 971 Fälle betrafen Menschen über 19 Jahre. Bei all diesen Menschen wurden 1691 Fälle als „ohne Folge“ eingestuft, 99 Fälle zeigten „moderate Folgen“, die Zahl der Todesfälle betrug 0.
Kein Grund zur Sorge – nur zur Vorsicht
In diesen 10 ausgewerteten Jahren gab es drei Todesfälle bei 58760 Zwischenfällen mit ätherischen Ölen, davon waren 42981 Kinder unter sechs Jahren betroffen. Welcher Altersklasse die Todesfälle zuzuordnen sind, ist dieser Tabelle nicht zu entnehmen. In einer weiteren Tabelle finden wir ätherische Öle aufgelistet, die zwischen 2001 und 2006 für unerwünschte Reaktionen sorgten:
- Zimt-, Nelken- und Teebaumöl waren die negativen Spitzenreiter im Jahr 2001 (22x, 10x,11x), Eukalyptus- und Flohminzeöl sorgten 8 und 1 Mal für Probleme, 65 unbekannte ätherische Öle führten zur Aufnahme in diese Tabelle, die aus diversen Quellen zusammen gestellt wurde.
- Im Jahr 2006 waren es wieder diese ersten drei Öle, die für Unannehmlichkeiten sorgten (18x, 13x, 30x), Eukalyptus 3x, Flohminze fiel nicht auf, 30 unbekannte Öle zeigten auch unerwünschte Nebenwirkungen.
Wenn wir nun davon ausgehen, dass in den USA möglicherweise noch wesentlich mehr Produkte, die mit ätherischen Ölen angereichert sind, als in Mitteleuropa existieren, dazu wesentlich mehr Firmen, die Öle dubioser Herkunft anbieten als in unserem Bereich, vermuten wir, dass die Zahlen von fatalen Ätherische-Öle-Anwendungen bei uns keinesfalls höher sein dürften.
In den USA sind zudem die zwei (oder mehr) Firmen, die für viele Anwendungen unverdünnte Öle empfehlen, wesentlich etablierter als in Deutschland, Österreich oder Schweiz. Deren Mitarbeiter empfehlen auch die regelmäßige Einnahme von einigen Tropfen ätherischer Öle beispielsweise zur „Stärkung des Immunssystems“ von Kindern. Dabei kann es schnell mal zu Verwechslungen der Flaschen kommen und versehentlichen Überdosierungen kommen (die Kinderschar sorgt für Unruhe, das Telefon klingelt, der Hund kippt den Kochtopf um). Gut geschulte Eltern und solche die sich genau an die zwei Aroma-Kochbücher von erfahrenen Autorinnen halten, werden ihren Kindern nicht schaden (Duftküche von Maria Kettenring und Aromaküche von Sabine Hönig und Ursula Kutschera).
In meiner offiziellen Ausbildungszeit zur (britischen) Aromatherapeutin, irgendwann Ende der achtziger Jahre, machte ein Fall von (fast perverser) Falschanwendung in Frankreich die Runde: Eine Mutter hatte ihrem erkältetem (möglicherweise hustendem) Kleinkind 5 ml Ysopöl eingeflößt. Das Kind starb. Ich gehe davon aus, das wirklich niemand, der/die noch über seinen/ihren gesunden Menschenverstand verfügt, so einen Fehler macht. Vielleicht hat es sich um eine Verwechslung mit einem Medikament in einem anderen braunen Fläschchen gehandelt.
In unserem webSEMINAR „Aromatherapie für Kinder“ in mehreren Teilen, werden wir viele Grundlagen erklären, kinderfreundliche Öle ausführlich besprechen, Hydrolate als sanfte Aromatherapie vorstellen und vieles, vieles mehr.
Fehler in der Anwendung kommen vor – darum auf beste Qualität achten
Einige Jahre später berichtete mir eine Kursteilnehmerin, die mit einer Hebamme zusammen arbeitete, vorn einer recht frisch „gebackenen“ Mutter, die sich auf Empfehlung ihrer Apothekerin ein Fläschchen Gewürznelkenöl kaufte, mit dem sie ihr Kleinkind einreiben sollte (unverdünnt!), damit es nicht so von Stechmücken geplagt wird. Das war der jungen Mama nicht geheuer und sie befragte meine Kursteilnehmerin. Diese war erstaunt, dass die Haut des Kleinkindes nicht nennenswert gelitten hatte (es war Nelkenöl einer guten und renommierten Öle-Firma). In dieser Zeit berichtete mir auch jemand, dass Babymassagen gegen Koliken mit unverdünntem Kümmelöl durchgeführt worden waren, ohne jede negative Folge. Allerdings berichtete mir viele Jahre später eine Jüngerin einer der fanatischen us-amerikanischen Öleanbieter, dass sie einige Tropfen unverdünntem Zimtöles (ich erinnere mich nicht ob es Rinden- oder Blattöl war) auf das Schienbein von Kindern gab, wenn diese über Wachstumsschmerzen klagten, angeblich ohne besonders hautrötende Folgen. In diesem Fall mag ich mir nicht vorstellen, wie die feine Kinderhaut nach dieser „Behandlung“ aussah, ich brach das Gespräch ab.
Was wir mit solchen Beispielen sagen möchten: Ätherische Öle in zuverlässiger und hoher Qualität sind sehr fehlertolerant. Wäre jedoch die Mückenabwehr mit einem dubiosen Nelkenöl erfolgt, das wie so oft einfach nur reines (synthetisches) Eugenol enthält (als Laie ist der Duft nur schwer voneinander unterscheidbar), wäre die Fehlanwendung sicherlich nicht so glimpflich ausgegangen.
Orale Anwendungen sollten bei kleinen Menschen tabu sein
Tisserand und Young raten von der oralen Anwendung von ätherischen Ölen bei Kindern unter 20 Kilo ab. Die Gewichtsangabe ist vermutlich sinnvoller, als sich zu streiten, ab welchem Alter einem Kind oral zugeführte ätherische Öle zuzumuten sind. Die gewissenhafte Konsultation der oben empfohlenen Kochbücher ist für das gezielte Würzen mit Mikromengen von lebensmittelzertifizierten ätherischen Ölen anzuraten. Andererseits denke man dann an die in Deutschland so hervorragend wirksamen Soledum-Kapseln (bei Bronchitis, Sinusitis, sogar Asthma), welche reines Eucalyptol enthalten, diese sind für Kinder ab 2 Jahren (circa 13 Kilo) zugelassen (hier ist die Packungsbeilage).
Tisserand und Young erinnern daran, dass das sich noch entwickelnde Gehirn von Babys und Kleinkindern von der Natur so ausgelegt ist, dass es besonders empfänglich für Reize ist. Das betrifft insbesondere Reize durch neurotonische Inhaltsstoffe von ätherischen Ölen (auf das Nervensystem anregend wirksame Substanzen). Was beim gesunden Großkind oder Erwachsenen noch neurotonisch=konzentrationsfördernd wirkt, kann beim Winzling neurotoxisch wirken, also die hoch reaktiven Nervenzellen zum Kurzschluss zwingen, also zum Krampf.
Das feine Nervensystem schützen
Die Autoren beziehen sich auf eine Studie von 2004, in der gezeigt wurde, dass kleine Jungs leichter zu solchen Krampfanfällen neigen als kleine Mädchen, das hängt mit der unterschiedlich verlaufenden Gehirnentwicklung zusammen [Velísková J, Claudio OI, Galanopoulou AS, Lado FA, Ravizza T, Velísek L, Moshé SL. Seizures in the developing brain. Epilepsia. 2004;45 Suppl 8:6-12]. Ätherische Öle, die darum bei Kleinkindern gemieden werden müssen (auch bei dermaler Anwendung, also auf der Haut), enthalten neurotonisch wirksamen
- Campher (=Borneon [korrekt: Bornan-2-on] in unterschiedlichen Isomeren): Kampferöl, „spanischer“ Rosmarin
- Pinocamphon in unterschiedlichen Isomeren: Ysop
- beta-Pulegon: Flohminze, bllige „Minzeöle“
- Thujon unterschiedlichen Isomeren: Thuja, minderwertige Salbeiöle
Die Umgebung der Nase zur Sicherheit immer aussparen
Im Bereich der Nase und des Brustkorbes müssen bei Babys und Kleinkindern äußerlich angewendete Öle vermieden werden, welche beim Einatmen kühlend wirken und „Schnappatmung“ verursachen könnten (die bei uns Erwachsenen eher besseres Durchatmen fördern). Denn solche Moleküle erzeugen einen Kältereiz durch Aktivierung von unseren menschlichen Kälterezeptoren (auch wenn keine objektive Kälte vorhanden ist):
- Öle mit 1,8-Cineol (Eucalyptol, siehe oben, die Einnahme in pharmazeutisch zubereiteten und zugelassenen Produkten verursacht nicht diesen Schließreflex beim Einatmen): Eukalyptus insbesondere in minderwertiger Qualität, Ravintsara, Niaouli, Cardamom, Cajeput.
- Öle mit Menthol: Pfefferminze, Ackerminze [„japanisch“, „chinesisch“]
- Öle mit Campher: Kampferöl, „spanischer“ Rosmarin
Methylsalicylat, der relevante Inhaltsstoff in den ätherischen Ölen von Wintergrün, Birke, Lorbeerblättern und Cassiazimt muss bei Kindern unter 12 Jahren vermieden werden, denn sie verfügen noch nicht über die Enzyme, dieses Molekül, wenn in größeren Mengen eingenommen, abzubauen. Das Reye-Syndrom – eine akute Schädigung des Gehirns – kann ausgelöst werden und zum Tod führen.
Zahlreiche Methylsalicylat-Vergiftungen sind in den USA dokumentiert worden; zwischen 4 und 8 ml (synthetisches) Methylsalicylat werden für ein Kind als tödliche Dosis angesehen. Auch wenn über 40 % der Körperoberfläche mit diesem starken Wirkstoff bedeckt sind (beispielsweise durch regelmäßige und grosszügige Anwendung eines Schmerzöles), besteht Vergiftungsgefahr. Man muss bedenken, dass 1 Teelöffel (5 ml) Wintergrünöl einer Menge von circa 7000 mg Salicylat entspricht oder circa 21,5 Aspirintabletten (Quelle). Oder praktischer: In einem 10-ml-Fläschchen an ätherischem Wintergrünöl befinden sich circa 43 Aspirintabletten (laut Gabriel Mojay). Zu problematischen Arzneimitteln bei Kindern ist ein interessantes Dokument der Uni Münster über Arzneimittel bei Kindern empfehlenswert.
So einfach geht´s: 10 ml Johanniskrautöl mit Zeder und Benzoe Extrakt vermischen, ca. 1/3 der Mischung auf Brust- und Rücken einreiben. Besonders am Abend und bei Reizhusten geeignet.
Sekretolytische Wirkung bei noch nicht mobilen Kindern
Wenn der Kinderarzt/die Kinderärztin vehement gegen die Anwendung von ätherischen Ölen im Kleinkind-Alter ist, bitte seine Sorge verstehen (und dann ggfs. selbst entscheiden): Ätherische Öle sind Vielstoffgemische. Fast jedes ätherische Öl enthält zumindest Spuren von sekretolytischen (schleimlösenden) Inhaltsstoffen, beispielsweise enthält das kinderfreundliche Mandarinenöl 1 Prozent Thymol. Wenn das noch nicht sehr bewegliche Kleinkind diese Naturduftstoffe einatmet, kann die schleimlösenden Wirkung stattfinden. Ein Winzling, der/die noch nicht das Abhusten gelernt hat, der/die noch nicht krabbelt und sich hochzieht, besitzt einfach nicht die kräftige Muskulatur, um losgelösten Schleim zuverlässig abzuhusten. Er/sie könnte im schlimmsten (jedoch unwahrscheinlichen) Fall ersticken. Deswegen haben der Kinderarzt und die Kinderärztin Bedenken. Sobald das Kind mobil ist, sich hoch zieht, purzelt und rollt, entwickelt sich diese Fähigkeit. Dieser Zeitpunkt kann jedoch sehr unterschiedlich sein, darum macht es auch auf diesem Gebiet nicht viel Sinn, sich auf ein Alter fest zu legen.
Eltern kennen ihr Kind jedoch, sie sollten genau beobachten, wie es auf Duftlampe und Einreibungen reagiert. Eltern verfügen sicherlich über ein gutes Gefühl und Instinkte, die sie davor bewahren, ihr Kind mit ätherischen Öle zu überstimulieren.
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Doch bei Ratschlägen und Empfehlungen für fremde Kinder sind auch wir immer sehr vorsichtig. Wir kennen weder die Zuverlässigkeit der Eltern, noch deren Einkaufsquelle für Naturdüfte (oder gar Synthetikdüfte aus dem Drogeriemarkt), noch die Reaktionsschwelle der Kleinen. Und genau darum müssen wir BuchautorInnen immer etwas (zu) vorsichtig mit Rezepturen umgehen. Wenn wir dann noch bedenken, dass alle bisherigen Prozentangaben auf falschen Tropfenzählungen beruhen, können wir uns fast beruhigt zurücklehnen, denn 20 Tropfen entsprechen bei keinem Öl mit modernem Tropfer einem Milliliter, so dass unsere vermeintlich einprozentigen Verdünnungen IMMER geringer ausfallen.
- 44 Tropfen Weihrauch arabisch (Boswellia carteri) ergeben 1 Milliliter
- 44 Tropfen Manuka (Leptospermum scoparium) ergeben 1 Milliliter
- 39 Tropfen Thymian Ct. Linalool (Thymus vulgaris Ct. Linalool) ergeben 1 Milliliter
- 33 Tropfen Lavendel (Lavandula angustifolia) ergeben 1 Milliliter
- 30 Tropfen Lemongras ost-indisch (Cymbopogon flexuosus) ergeben 1 Milliliter
- 23 Tropfen Bergamottminze (Mentha x piperita var. citrata) ergeben 1 Milliliter
Mehr dazu im Fachbuch von Herausgeber Dr. Wolfgang Steflitsch Aromatherapie in Wissenschaft und Praxis (Stadelmann Verlag 2013), aus dem diese Beispiele stammen. Hier befindet sich eine ausführliche Buchbesprechung. Also, der langen Rede kurzer Sinn, wir wiederholen, was bereits in anderen Blog-Artikeln stand: Man kann auch bei dieser empfindlichen Gruppe unerwünschte Nebenwirkungen fast ausschließen, wenn die Qualität der Öle stimmt und Hintergrundwissen über die korrekte Verdünnung und über einige wenige Vorsichtsmaßnahmen vorhanden ist.
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